Lebensraum Industriebrache

Auf Indus­trie­bra­chen gibt es eine hohe Struk­tur­viel­falt auf klei­nem Raum. Diese kommt durch Kom­bi­na­tio­nen unter­schied­lichs­ter Sub­strate und mikro­kli­ma­ti­scher Bedin­gun­gen zustande. Durch Abgra­bun­gen oder Auf­schüt­tun­gen ent­ste­hen Roh­bö­den, auf denen sich im Pio­nier­sta­dium kurz­le­bige Extrem­le­bens­räume mit hoher Dyna­mik ent­wi­ckeln. Dadurch ähneln sie z.B. Kies– und Schot­ter­bän­ken in Fluss­auen oder Schutt­flu­ren im Gebirge. Typi­sche Arten die­ser Lebens­räume stel­len sich auch bereits nach kur­zer Zeit ein. Für Arten natür­li­cher Fels­le­bens­räume kön­nen Mau­ern und Gebäude geeig­nete Ersatz­stand­orte bieten.

Böden und Substrate

Die Boden­bil­dung ist vom Indus­trie­zweig abhän­gig. Auf Bra­chen der Stahl­in­dus­trie fin­det man meist tech­no­gene Sub­strate wie ver­schie­dene Hoch­ofen– und Stahl­werks­schla­cken. Farbe, Kör­nung und Struk­tur kön­nen sehr unter­schied­lich sein, in der Regel ist ihnen aber ein hoher bis sehr hoher pH-Wert gemein.

Sinterschlacke auf der Sinteranlage in Duisburg

Bra­chen des Stein­koh­le­berg­baus haben natür­li­che Sub­strate wie Ber­ge­ma­te­rial (Gesteins­ma­te­rial aus dem Kar­bon) oder Koh­le­pro­dukte. Durch Auf­schüt­tun­gen des Ber­ge­ma­te­ri­als sind zahl­rei­che Hal­den ent­stan­den. Berge hat einen sehr nied­ri­gen pH-Wert, Kohle einen leicht alka­li­schen. Stammt das Ber­ge­ma­te­rial aus gro­ßer Tiefe, ist es sehr nähr­stoff­arm und salzhaltig.

Bergematerial auf der Halde Rheinelbe in Gelsenkirchen
Bergematerial auf der Halde Rheinelbe in Gelsenkirchen

Die Werks­ge­lände sind von asphal­tier­ten Stra­ßen oder Schot­ter­we­gen durch­zo­gen oder groß­flä­chi­ger ver­sie­gelt.

Mikroklima

Das Mikro­klima auf Indus­trie­bra­chen kann vom regio­na­len Klima abwei­chen und ist abhän­gig von Bewuchs und Untergrund.

Tem­pe­ra­tur

Dunk­les Ber­ge­ma­te­rial und viele tech­no­gene Sub­strate kön­nen sich bei Son­nen­ein­strah­lung stark auf­hei­zen – in den Mit­tags­stun­den im Som­mer sind Tem­pe­ra­tu­ren bis über 60°C mög­lich. Da sol­che Sub­strate die Wärme aber nur schlecht spei­chern kön­nen, kommt es nachts zu einer star­ken Aus­strah­lung und damit zu star­ken Tem­pe­ra­tur­schwan­kun­gen im Tages­lauf. In Gehöl­zen sind diese Schwan­kun­gen deut­lich abgemildert.

Mikro­klima auf Bergehalden

Ber­ge­hal­den stel­len im mitt­le­ren bis nörd­li­chen Ruhr­ge­biet die ein­zi­gen Erhe­bun­gen in der Land­schaft dar. Auf den Pla­te­au­flä­chen kön­nen erhöhte Wind­ge­schwin­dig­kei­ten auf­tre­ten, am Hal­den­fuß kann es nachts zu Ansamm­lung von Kalt­luft kom­men. An den Hän­gen wird das Mikro­klima stark von der Expo­si­tion beeinflusst.

Was­ser­haus­halt

Auf stark ver­sie­gel­ten Flä­chen ist die Abfluss­rate des Nie­der­schlag­swas­sers sehr hoch, auf nicht ver­sie­gel­ten Flä­chen bestim­men das Sub­strat und seine Dichte den Was­ser­haus­halt. Auf stark ver­dich­te­ten Böden, wie sie bei­spiels­weise auf Hal­den vor­kom­men, ent­steht schnell Stau­nässe, die zur Bil­dung von Tüm­peln und Lachen führt. Bei feh­len­den Nie­der­schlä­gen trock­nen diese Gewäs­ser aber sehr schnell aus und es kommt zu extre­mer Trockenheit.

Ausgetrockneter Tümpel auf einer Bergehalde
Ausgetrockneter Tümpel auf einer Bergehalde

Auf grob­kör­ni­gen, locke­ren Böden ist die Ver­si­cke­rungs­rate sehr hoch, so dass es auch hier zu tro­cke­nen Ver­hält­nis­sen kommt.

Vegetation und Sukzession

Die Vege­ta­tion auf Indus­trie­bra­chen ist bereits gut unter­sucht. Es gibt zahl­rei­che Arten, die im Ruhr­ge­biet schwer­punkt­mä­ßig oder aus­schließ­lich auf Indus­trie­bra­chen vor­kom­men. Im Rah­men pri­mä­rer und sekun­dä­rer Suk­zes­sion bil­den diese Arten typi­sche Vege­ta­ti­ons­ein­hei­ten und Pflanzengesellschaften. Kurz­le­bige Annu­el­len­flu­ren besie­deln Brach­flä­chen im Pio­nier­sta­dium. Typisch sind Gesell­schaf­ten des Kleb­ri­gen Alants oder des Unter­bro­che­nen Wind­halms. Je nach Stand­ort­be­din­gun­gen wird die Pio­nier­ve­ge­ta­tion nach etwa drei Jah­ren von aus­dau­ern­der Rude­ral­ve­ge­ta­tion abge­löst wie der Natternkopf-Steinklee– oder der Beifuß-Rainfarn-Gesellschaft.

Im Pionierstadium sind die Rohböden nur spärlich bewachsen
Im Pionierstadium sind die Rohböden nur spärlich bewachsen
Auch im Pionierstadium können schon Gehölze wie Birken die Brachflächen besiedeln
Auch im Pionierstadium können schon Gehölze wie Birken die Brachflächen besiedeln

Nach wei­te­ren 6–10 Jah­ren ent­ste­hen rude­rale (Halb-)Trockenrasen und ein­zelne Gebü­sche und Baum­grup­pen brei­ten sich wei­ter aus. Typisch sind Brom­beer­ge­bü­sche oder Bestände des Schmet­ter­lings­flie­ders. Nach wei­te­ren 2–5 Jahr­zehn­ten bil­den sich Vor­wäl­der aus Bir­ken, Robi­nien und Ahorn, zu denen spä­ter noch Eichen sto­ßen, so dass sich junge Eichen-Birkenwälder ent­wi­ckeln. Aber auch im Pio­nier­sta­dium kön­nen Bir­ken, Pap­peln, Robi­nien oder der Göt­ter­baum vorkommen.

Mehrere Jahrzehnte alter Wald auf der Halde Großes Holz
Mehrere Jahrzehnte alter Wald auf der Halde Großes Holz

Es zeigt sich also eine Vege­ta­ti­ons­ent­wick­lung von der Annu­el­len­flur zum Wald. Auf­grund eines Mosa­iks unter­schied­li­cher Stand­ort­be­din­gun­gen kön­nen ver­schie­dene Suk­zes­si­ons­sta­dien auf klei­nem Raum neben­ein­an­der lie­gen. Durch den oft schnel­len Ablauf der Suk­zes­sion kommt es zu einer hohen Dyna­mik der Lebensräume.

Arten- und blütenreiche Ruderalfluren bieten auch ideale Lebensräume für Schmetterlinge
Arten- und blütenreiche Ruderalfluren bieten auch ideale Lebensräume für Schmetterlinge